geisling.
geisling steht am fenster. ich weiß, ein eher schwächlicher satz für einen anfang. aber geisling steht nun mal am fenster, egal was sie jetzt hier gerne lesen würden. und es geht ihm nicht gut. auch das würden sie vielleicht lieber nicht wissen wollen. sie denken jetzt womöglich, ich könnte ja schließlich auch was schönes schreiben, wo sie sich schon die mühe machen und lesen. aber wenn sie gar nicht wirklich interessiert, wie es geisling geht, dann müssen sie ja nicht lesen. gehen sie in irgendeinen park, oder schreiben sie all denen einen brief, die schon gar nicht mehr wissen, wer sie sind. aber wenn sie gar nicht wissen wollen, wie es geisling wirklich geht, dann gehören sie bestimmt auch zu den leuten, die lieber telefonieren als schreiben. ein wunder dann, daß sie überhaupt noch lesen... daß sie noch lesen können! aber es gibt ja sogar menschen, die nicht mal mehr telefonieren. »ich ruf dich an,« hatte sie zu geisling gesagt. das war vor zwei tagen. und diesen satz haben sie bestimmt auch schon einmal gehört. ich weiß natürlich nicht, wie es ihnen geht, aber für geisling gehört das zu dem schlimmsten, was man überhaupt sagen kann. denn in den meisten fällen war es dann auch das letzte, was er zu hören bekam. so wie dieses mal. geisling steht, wie sie ja wissen, am fenster und fragt sich, warum er dann trotzdem immer wieder daran glaubt, bald darauf angerufen zu werden. draußen regnet es. wieder so ein satz... aber was soll ich machen, es regnet eben. geisling kommt es vor, als wolle die welt ihm damit ihr mitgefühl ausdrücken — aber wir, also sie und ich, wissen wohl, daß das schwachsinn ist. geisling, der schwachsinnige. steht am fenster und weint. ja wirklich, er weint! es war ja nicht nur der anruf. ich meine, sie sagte schon etwas mehr als »ich ruf dich an.« sie sagte: »ich komme am freitag vorbei, so gegen abend.« — »wirklich?« — »ja, ich ruf dich an.« sehen sie? es ist nämlich bereits samstag, und es wird sie nicht überraschen, wenn ich ihnen anvertraue, daß sie natürlich nicht kam. und daß sie nicht einmal angerufen hat wissen sie ja bereits. armer geisling. steht am fenster und weint. vor ihm läßt eine rose das köpfchen hängen. für wen die rose eigentlich gedacht war, können sie sich wohl denken. wir wissen ja, daß geisling etwas »anders« ist. armer geisling eben. als sie nicht kam, nahm er der rose das wasser. nein, nicht um sich abzureagieren. für geisling war sie ein symbol, und wäre er am vorabend nicht allein geblieben, so hätte diese prächtige rose nur zu gut seine innersten empfindungen für sein gegenüber verbildlichen können. und wenn sie in ein paar tagen doch noch vorbeikommen sollte — woran er glaubt, aber wir wissen ja, daß er etwas schwachsinnig ist — dann soll das selbe symbol den selben effekt erzielen. verzeihen sie meinen sprachlichen ausdruck, geisling hätte es bestimmt treffender ausgedrückt (wir wissen ja, der schwachsinn...), aber sie werden sich damit begnügen müssen. denn geisling spricht nicht sehr viel, und wenn ich ihn fragen würde, dann bekäme ich höchstens ein »was geht euch das überhaupt an?« zur antwort. ohne worte, geisling kann das mit seinen augen sagen, mit gesten und — natürlich — symbolen. wir wissen ja, daß er etwas schwachsinnig ist. geisling sieht die rose an, als würde er in den spiegel schauen. und wie wir wissen, läßt sie den kopf hängen. und sie wird ihn weiter senken, mit der zeit. denn es war noch mehr, als der anruf und der besuch, obwohl das schon ausreicht, um geislings mißlaunen nachzuvollziehen. sie sagte nämlich noch mehr: »ich habe einen brief für dich, ich schicke ihn noch heute nacht ab.« — »und wann sehen wir uns wieder?« — »ich komme am freitag vorbei, so gegen abend.« — »wirklich?« — »ja, ich ruf dich an.« sie werden es schon ahnen: diesen brief bekam geisling natürlich nicht. kein brief, kein besuch, noch nicht mal eine telefonische absage. und wir wissen, wie schlimm so etwas sein kann. und immer, wenn nun jemand zu mir sagt: »ich ruf dich an,« egal, ob das alles ist, dann werde ich denken: geisling steht am fenster.